Energieausweis 2020

Nach 18 Jahren Energieausweis ist es Zeit für eine kleine Bilanz

Energieausweis – was muss sich ändern?

Ein Statement von Architekt Dipl. Ing. Reinhard Schneeweiß – SCHNEEWEISS ARCHITEKTEN

 

Der Energieausweis ist inzwischen erwachsen. Mit Einführung der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2002 ist auch der Energieausweis für Gebäude das erste Mal gesetzlich verankert worden. Das nachvollziehbare und durchaus begrüßenswerte Ziel war und ist es, Nutzer:innen eines Objekts eine einfach nachvollziehbare Einordnung zu ermöglichen, ob das Objekt viel oder wenig Energie benötigt. Leider ist festzustellen, dass er von den meisten als ein notwendiges Übel begriffen wird. Eine Annäherung.

 

Das Energielabeling kennt man bereits aus anderen Lebensbereichen wie z. B. der „weißen Ware“. Kühlschränke, Waschmaschinen etc. werden seit Jahren in Effizienzklassen eingeteilt. Wenn man A+++ kauft, dann hat man den höchsten energetischen Standard und mehr ist dann aktuell nicht drin.

Beispiel Energielabel Waschmaschine
Das Energielabel der „Weißen Ware“ hat sich bewährt. Es ist einfach und wird von den Kunden akzeptiert

Je nach Produkt gibt es unterschiedlich viele Bezugsgrößen, so dass z. B. bei Waschmaschinen dann neben der Energie auch Waschwirkung etc.  auftauchen mit jeweils schnell zu erfassender Einordnung. Diese Energiekennzeichnung ist akzeptiert und wird durchgehend von Kund:innen begrüßt und als Kaufentscheidung angewandt. Das wäre auch für den Energieausweis wünschenswert, ist aber leider nicht die Realität. Die Problemfelder sind:

 

  • Der Umfang des Energieausweises
  • Die Anwendung verschiedener Berechnungsmethoden für die angeblich gleiche Aussage.
  • Die bezugslose Bezugsgröße des Ausweises
  • Die fachchinesischen Begrifflichkeiten des Ausweises.
  • Die bildliche Darstellung der Ergebnisse

 

Umfang des Energieausweis:

Wichtig für die Akzeptanz und Verbreitung von Energieausweisen ist der leichte Umgang damit. Derzeit hat der Energieausweis für Wohngebäude mindestens einen Umfang von 5 DinA 4 Seiten. Das kopiert sich nicht einfach und schnell. Ein solcher Ausweis lässt sich auch nicht schnell durchblättern, um die entscheidenden Informationen zu finden und zu verarbeiten. Doch mehr wird Interessent:innen derzeit gesetzlich nicht zugestanden. Viel besser wäre ein einseitiges Dokument.

Bei einem einseitigen Dokument wären alle notwendigen Informationen sofort zu erfassen und die Vervielfältigung für Besitzer, Miet- und Kaufinteressenten wäre einfach und schnell erledigt. Und auch bei der aktuellen „Vorzeig-Regelung“ wäre es hilfreich, dass man beim kurzen Durchsehen des Dokuments schnell die relevanten Daten erfassen kann. Ein längeres Studium des Ausweises während man gerade mit dem/der  VermieterIn/VerkäuferIn spricht, passt in der Regel nicht in die Situation. Für Nichtwohngebäude gibt es einseitige Dokumente als Aushang, die die wesentlichen Informationen über das Gebäude beinhalten. Warum soll das dann nicht auch für Wohngebäude funktionieren?

 

Berechnungsmethoden:

Problematisch ist m. E. immer noch die Anwendung unterschiedlicher Berechnungsmethoden zur Ermittlung der Energie-Kennwerte bei Wohngebäuden. Lediglich Wohngebäude mit Bauantrag vor 1. November 1977 müssen anhand der „realen“ U-Werte und des „realen“ Heizungssystems berechnet werden. Das ist durchaus bemerkenswert, da diese Eingabewerte für entsprechende Altbauten mit einem großen Unsicherheitsfaktor belegt sind. Gebäude ab dem 1.11.1977 dürfen dann anhand des Verbrauchs bewertet werden, unabhängig von der Anzahl der Nutzereinheiten. Bei der Verbrauchsberechnung ist der Einfluss der Nutzerin/des Nutzers sehr groß. Eigene Berechnungen bei entsprechenden Ein- und Zweifamilienhäusern ergaben nutzerspezifische Abweichungen von 100% bei vergleichbaren Objekten. Die Abweichungen zwischen Berechnung aufgrund energetischer Kennwerte und dem angegebenen Verbrauch betrugen bis zu 50%. Die Berechnung überstieg dabei den Verbrauch i. d. R. deutlich. Doch auch bei Neubauten jüngeren Datums sind bei einer geringen Anzahl an Wohneinheiten Abweichungen vorhanden. Dabei sind allerdings sowohl Über- als auch Unterschreitungen möglich. Dies zeigt gerade bei kleinen Nutzungseinheiten den großen Einfluss des Nutzers. Umso absurder wirkt da die Regelung, dass hier der reale Verbrauch als Grundlage verwendet wird. Bei größeren Nutzungseinheiten mit 8, besser 10 Wohneinheiten und mehr gleichen sich die unterschiedlichen Verhaltensmuster der Menschen allmählich aus, so dass der Verbrauchswert sich dem Berechnungswert annähert. Doch bei größeren Wohngebäuden steigt der Berechnungsaufwand nicht linear, im Gegenteil. Meist ist die Datenlage anhand von Plänen und Baudokumentation sogar besser als bei kleineren Wohnobjekten. Da ein Vergleichswert nur dann für den Endnutzer einen Wert hat, wenn die Grundlage verlässlich ist, spricht deswegen viel dafür, Energieausweise nur auf Grundlage einer Berechnung der verbauten energetischen Kennwerte zu erstellen. Das Wirtschaftlichkeitsargument greift hier m. E. nicht, da gerade bei größeren Objekten die Kosten eines  Bedarfs-Energieausweis im Verhältnis zu der Anzahl der Wohneinheiten deutlich kleiner sind als bei Ein- oder Zweifamilienhäusern.

 

AN ≠ Nutzfläche oder doch?

Wenig hilfreich ist die aktuelle Bezugsgröße AN für den Energiebedarf bzw. –verbrauch im Energieausweis. Ist man als Architekt versucht, darin die Nutzfläche zu sehen, denkt der Endkunde eher an Wohnfläche. Es ist aber beides nicht. Es ist ein theoretischer Wert, der sich aus dem Volumen des Gebäudes ergibt. Die Absicht dahinter ist, dass Gebäude mit hohen Räumen nicht „schlechter“ gestellt werden als Gebäude mit Standardgeschosshöhen. Doch warum? Letztlich soll der Endkunde einen Anhaltswert bekommen, wie hoch seine Energiekosten werden. Und der Endkunde hat i. d. R. keinen anderen Wert als seine Wohnungsgröße in Quadratmeter. Wie da aktuell hin- und hergerechnet werden müsste, um eine plausible Aussage zu erhalten, überfordert dabei auch den Fachmann. Damit hilft der AN-Wert derzeit niemandem, sondern verschleiert für Nutzer:innen den zu erwartenden Energieverbrauch zusätzlich.

 

Abstrakte Begrifflichkeiten

Die Begriffe bezüglich der Energieeffizienz von Wohngebäuden lauten Endenergie- und Primärenergiebedarf bzw. –verbrauch. Dem Fachpublikum dürfte der Unterschied inzwischen geläufig sein, doch diese sind nicht die Adressat:innen des Energieausweises. Adressat:innen sind die Nutzer ohne bauphysikalische bzw. energietechnische Kenntnisse. Vereinfacht: Der Endergiebedarf/
-verbrauch beschreibt in Kilowattstunden (kWh) die Menge Öl, Gas, Pellets oder …, die man dem Gebäude von außen zuführen muss, damit das Haus über den Winter warm bleibt. Der Primärenergiebedarf/-verbrauch beschreibt die ökologische Wirkung von Öl, Gas, Strom, Fernwärme, Pellets etc. Die Beschreibung zeigt wie sperrig das Ganze ist, weswegen hier eine Umrechnung auf „Benutzergrößen“ vor der Vergleichsgröße Kilowattstunde (kWh) sinnvoll wäre. Bei einem mit Öl beheiztem Gebäude wäre die Aussage Liter Öl je qm Wohnfläche und Jahr wohl sinnvoll. Dies entspräche den bekannten Größen beim Auto von Liter/100 km. Bei der ökologischen Wirkung ist die kWh-Angabe m. E. völlig unnötig. Hier interessiert nur das Verhältnis von regenerativ zu nicht regenerativ inklusive der Produktionskette. Eine Einteilung von „sehr geringe ökologische Belastung“ bis „hohe ökologische Belastung“ ist hier absolut ausreichend. Die „kWh-Angabe“ birgt hier keinen Mehrwert, mit dem man etwas anfangen kann. Im Endeffekt sollten m. E. auf dem Ausweis energetische Aussagen getroffen werden, die mit der Lebenswirklichkeit der Adressat:innen etwas zu tun hat. Niemand von uns tankt an der Tankstelle kWh. Die Begrifflichkeiten „Energie-Aufwand für Heizung und Warmwasser“ und „ökologische Wirkung“ sind vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, aber eventuell besser als Endenergie und Primärenergie.

 

Grafische Darstellung der Ergebnisse

Die grafische Darstellung erfolgt derzeit über einen sogenannten Bandtacho. Das ist ein Balken von Hellgrün bis Dunkelrot. Hellgrün steht für geringen Energieaufwand, dunkelrot für sehr hohen Energieaufwand. Seit der EnEV 2014 wurde die stufenlose Darstellung durch Linien und Buchstaben ergänzt. Dies soll eine Annäherung an die Darstellung von „Weißer Ware“ sein, aber wird als solche nicht wirklich wahrgenommen. Der grafische Unterschied ist zu groß. Desweiteren lässt sich trefflich darüber diskutieren, ob der Bereich > 200 kWh weiter unterteilt werden muss.

Bandtache Energieausweis Verbrauch
Die Darstellung von meheren Energiekennwerten in einer Darstellung führt zu weitreichendem Interpreationsspielraum

Die Darstellung der Größen Endenergiebedarf/-verbrauch  und Primärenergiebedarf/-verbrauch auf einem gemeinsamen Bandtacho ermöglicht derzeit eine kWh-genaue energetische Einordnung des Gebäudes. Das ist zwar nachvollziehbar, erschwert allerdings die Lesbarkeit. Durch die Angabe von 2 Werten auf einem Tacho wird der Interpretation großen Raum eingeordnet. Nicht selten wird der geringe Primärenergiewert als „Ausgleich“ für den hohen Endenergiewert gesehen. Dies mag ökologisch manchmal stimmen, aber finanziell i. d. R. nicht. Durch die Trennung beider Werte und Darstellung als Balkendiagramm gem. der sonstigen Lebensrealität (vgl. Weiße Ware) würde m. E. die Lesbarkeit des Dokuments stark vereinfacht und damit die Akzeptanz erhöht. Vorschlag wäre die Energieeffizienz des Gebäudes, also die Summe aus baulichem Wärmeschutz und Anlagentechnik als Hauptaugenmerk herauszustellen. Die zweite Information wäre die ökologische Wirkung des Brennstoffs und weitere Informationen wie Gebäudegröße etc. können in kleineren Symbolbildern dargestellt werden.

 

Trotz aller Kritik: Der Energieausweis ist ein wichtiges und notwendiges Dokument für Endkund:innen und sollte unbedingt erhalten und weiter entwickelt werden. Damit er seine volle Wirkung entfalten kann, muss er aussagekräftig und leicht lesbar und verstehbar sein. Dabei muss er als Basis die Lebenswirklichkeit der Nutzer:innen verwenden, um eine Anwendung auf die eigenen Fragestellungen zu ermöglichen. Dies ist derzeit nur sehr eingeschränkt gegeben. Die notwendigen Anpassungen wären aber ohne großen Aufwand realisierbar.

 

November 2020, Dipl. Ing. R. Schneeweiß

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