„Gegen WEGWERF Architektur“ von Vittorio Magnago Lampugnani – eine Buchempfehlung. Das Büchlein hat 112 Seiten in einem schmalen Hochformat, lässt sich also gut in wenigen Stunden lesen. Lampugnani bedient den strapazierten Begriff der Nachhaltigkeit von einem systemischen Ansatz und kritisiert damit im Wesentlichen die individualisierte Lösungsverpflichtung, die der gesamten aktuellen Diskussion zugrundeliegt. Die gesetzlichen Vorgaben und die Förderungslandschaft ist derzeit so aufgebaut, dass das Individuum unter all den (klimaschädlichen) Möglichkeiten die klimaunschädliche Lösung finden soll. Das wird als „Freiheit“ – oder noch besser – „Systemneutralität“ verkauft. Die Verantwortung des Systems, der Gesellschaft für die aktuelle Situation wird dabei komplett ignoriert und als „Verbotspolitik“ diskreditiert. An diesen strukturellen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen greift Lampugnani an. An Leerständen in den Städten, an Ausweisungen neuer Wohngebiete, an Ersatzneubauten, an der verschwenderischen Verwendung von Material, an Gebäuden als Konsum-Objekten, an einem Wirtschaftssystem, das den Planeten ruiniert. Ein insgesamt sehr lesenswertes Buch, das zeigt, dass „nachhaltiges Bauen“ mehr ist als den Energiebedarf von Gebäuden zu reduzieren. An dieser Stelle bereitete das Buch mir allerdings hin und wieder auch Bauchschmerzen. Es gibt an einigen Stellen sehr pointierte Kritik an z. B. der Dämmung von Häusern, die danach wie „Michelin-Männchen“ aussehen. Das kritisiert m. E. zurecht die einfallslose Dämmung vieler Häuser. Dass dies aber auch komplett anders geht, haben wir – also unser Büro SCHNEEWEISS ARCHITEKTEN – zur Genüge bewiesen. Als Kritik an schlechter Architektur lasse ich das gerne stehen, als Generalkritik gegen Dämmung sicherlich nicht. Auch an manch anderen Stellen wiederholt Lampugnani Vorurteile gegen energetische Sanierungen (zu hoher Energieaufwand der Herstellung, Verschlechterung der Bauphysik etc.), die faktisch einfach falsch sind. Über diese Punkte kann man gelassen drüber lesen, denn es gibt viel anderes in dem Buch zu entdecken. Problematischer ist es, dass Kolleg:innen, deren Fachkenntnis sich im Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz auf deren Gefühlsebene beschränkt, genau diese Passagen missbrauchen werden, um die notwendigen Energieeinsparmaßnahmen der Gebäude zu diskreditieren. In diesem Punkt muss man dem Autor dann leider den Vorwurf machen, dass er sich mehr oder weniger wissentlich missbrauchen lässt, indem er an diesen Punkten nachlässig recherchiert hat. Im Gesamtkontext des Buches zeigt sich aber, dass Lampugnani keinesweg gegen energieeffiziente, sparsame Gebäude ist. Das wird leider nur nicht ganz so pointiert formuliert.
Vittorio Magnago Lampugnani: Gegen Wegwerfarchitektur, Verlag Klaus Wagenbach, ISBN 978 3 8031 3737 1