Neubau Lüftung

Innenansicht dezentrale Lüftungsanlage
Eine dezentrale Lüftungsanlage ist einfach auch in der Sanierung zu ergänzen – die Fenster darf man trotzdem öffnen

Pflicht zu Lüftungsanlage bei Neubauten?

Entscheidet die DIN 1946-6, wie wir lüften müssen?

In der Saarbrücker Zeitung vom 17. Februar 2017, Seite D7 wurde von Katja Fischer geschrieben:

„Zum Lüften einfach morgens und abends die Fenster öffnen – das war einmal. Heute entscheidet ein Lüftungskonzept darüber wie der Luftaustausch vonstatten gehen muss. ‚ In Neubauten ist laut DIN-Verordnung 1946-6 ein Lüftugnskonzept vorgeschrieben‘, erklärt Peter Pau Thomas vom Bundesverband für Wohnungslüftung.“

später im Artikel heißt es dann:

„Weil in modernen wärmegedämmten Häusern die Gebäudehülle so dicht ist, dass wenig bis keine Luft durch Fugen und Ritzen ins Innere gelangen kann, muss nachgeholfen werden.“

Stimmt das? – Jein. Um zu verstehen, was eigentlich gemeint ist, muss man die Funktion der verschiedenen Ansätze begreifen.

Die ENEV

In der Energieeinsparverordnung wird standardgemäß mit einem Luftwechsel von 0,7/h bzw. mit Luftdichtigkeitstest mit 0,6/h gerechnet. Das heißt, dass jede Stunde 60% bzw. 70% des gesamten Luftvolumens des Hauses ausgetauscht wird und aufgeheizt werden muss. Dabei handelt es sich NICHT um eine Anforderung, sondern um eine Annahme, um den Wärmebedarf des Gebäudes zu ermitteln. Es geht also nicht um die notwendige Luft, sondern um die notwendige Energie. Dieser Ansatz ist – wie man aus zahlreichen schadensfreien Häusern weiß – in der Regel deutlich zu hoch.

 

Die DIN 1946-6

Die Ergebnisse des Lüftungskonzepts gem. DIN 1946-6 soll Aufschluss darüber geben, ob ein feuchtetechnisch angeblich notwendiger Mindestluftwechsel durch die „normalen“ Undichtigkeiten des Gebäudes erfolgt oder ob hier mechanisch nachgeholfen werden muss.

Gedanklicher Hintergrund der Norm ist, dass es zu keinen hygienischen Feuchteschäden in der Wohnung kommen soll.

Doch schauen wir uns doch mal an, was laut Norm der feuchtetechnisch notwendige Mindestluftwechsel sein soll:

Um ein Lüftungskonzept nach DIN 1946-6 zu erstellen, gibt man im Wesentlichen folgende Parameter ein:

1. Die Wohnungsgröße/Hausgröße

2. Der Sanierungszustand der Wohnung/des Hauses

3. Mehrgeschossigkeit ja oder nein

 

gewählte Angaben: Wohnung, eingeschossig, 90 m², Neubau

Die Berechnung zum angeblich nach DIN 1946-6 notwendigen Luftwechsel zum Feuchteschutz heißt

qv,ges,NE,FL=fWS *(-0,001*ANE+1,15*ANE+20) m³/h

 

qv,ges,NE,FL ……der Luftvolumenstrom für den Feuchteschutz in m³/h;
ANE …………………die Fläche der Nutzungseinheit in m² (die lichte Raumhöhe wird mit 2,5 m zugrunde gelegt);
fWS ……………….der Faktor zur Berücksichtigung des Wärmeschutzes (WS) des Gebäudes.

Der Faktor fWS ist
— mit 0,3 für „Wärmeschutz hoch“ (Gebäude mit einer Wärmedämmung mindestens nach WSchV 95) und
— mit 0,4 für „Wärmeschutz gering“ (alle anderen Gebäude)

An dieser Formal sieht man schon mal, dass es der Norm völlig egal ist, wie viele Personen in der Wohnung leben. Und auch Altbauwohnungen sind per se immer 2,5 m hoch. Der Unterschied zwischen Wärmeschutz „hoch“ und „gering“ mit 0,1 ist zudem fragwürdig.

Unter Lüftung zum Feuchteschutz versteht die Norm
notwendige Lüftung zur Sicherstellung des Bautenschutzes (Feuchte) unter üblichen  Nutzungsbedingungen bei teilweise reduzierten Feuchtelasten

Ergebnis:

qv,ges,NE,FL=37,023 m³/h

Das heißt im Klartext, dass die Norm davon ausgeht, dass auch bei reduzierten Feuchtelasten permanent (!) 1,5 Personen in der 90 m²-Wohnung sind. Was daran eine „reduzierte Feuchtelast“ sein soll, ist mir schleierhaft.

Wovon geht die Norm aus, wenn die Wohnung „normal“ genutzt wird? Dies drückt sich in der sogenannten Nennlüftung aus. Die Definition in der Norm heißt:

Nennlüftung
notwendige Lüftung zur Sicherstellung der hygienischen Anforderungen sowie des Bautenschutzes bei Anwesenheit der Nutzer (Normalbetrieb)

Die Nennlüftung ergibt sich nach Norm zu 123,41 m³/h. Dies entspricht der permanenten (!) Anwesenheit von 5 Personen (25 m³/h). Das ist für eine 90 m² Wohnung schon ziemlich kuschelig. Nicht dass das prinzipiell unmöglich ist, aber angesichts einer durchschnittlichen Wohnfläche von 50 m²/Person in Deutschland dürfte das eher die Ausnahme als die Regel sein. Konkret sind diese Flächen im sozialen Wohnungsbau relevant und damit definitiv im Bereich der höchsten Belegungsdichte, die in Deutschland vorstellbar ist. Für 4 Personen werden im sozialen Wohnungsbau 85 m² als angemessen gesehen, aber nicht für 5 Personen … und dann gibt es noch die Intensivlüftung… 🙂

In all diesen Überlegungen ist zudem nicht berücksichtigt, dass aufgrund von Sorption Feuchtigkeit in den Oberflächen der Wohnung „zwischengelagert“ werden kann und durch Lüften zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgegeben werden kann…

 

Rechtliche Einordnung von DIN-Normen

Die DIN-Normen sind per se KEINE Gesetze. Gesetzähnlichen Charakter können sie bekommen, wenn der Gesetzgeber sie bauaufsichtlich einführt. Die DIN 1946-6 ist nicht bauaufsichtlich eingeführt. Ansonsten sind DIN-Normen Technische Regeln eines privaten Vereins, des Deutschen Instituts für Normung e. V.. Seitens der Rechtssprechung gibt es eine Vermutung, dass es sogenannte allgemein anerkannte Regeln der Technik sein könnten. Man beachte die Konjunktive. Ob sie allgemein anerkannte Regeln der Technik sind, hängt von 3 Faktoren ab:

1. Ist die Norm wissenschaftlich richtig?

2. Ist die Norm in den Fachkreisen überwiegend bekannt und als richtig anerkannt?

3. Wird die Norm in mehr als der Hälfte Fälle baupraktisch umgesetzt?

Wenn das alles bejaht wird, dann kann man von einer allgemein anerkannten Regel der Technik sprechen, und dann wäre Sie für Planer tatsächlich verbindlich.

 

Wie man sieht, sind die Eingangsgrößen der DIN 1946-6 sehr grob. Das hält einer wissenschaftlichen Herangehensweise nicht statt, da z. B. nicht gefragt wird, wie viele Fenster da sind, um eine Infiltrationsquote zu ermitteln. Auch die Ergebnisse einer konkreten Luftdichtigkeitsmessung können nicht in die Berechnung einfließen.  Es wird auch nicht gefragt, wie viele Personen dort wohnen (sollen), um eine Größenordnung für den Feuchteanfall zu ermitteln, Wohnungen sind pauschal 2,5 m hoch, und der erforderliche Luftbedarf wird mit 30 m³/h auf ein hohes Aktivitätsniveau der Bewohner festgelegt. Doch wer ist tatsächlich permanent körperlich in seiner Wohnung tätig? … etc… etc…

In der Fachwelt ist die Norm entsprechend umstritten. Bei den Fachkreisen ist die Norm zwar inzwischen bekannt, aber nicht nicht als richtig anerkannt. Und in den meisten Fällen wird sie deswegen auch nicht umgesetzt. D. h., von einer allgemein anerkannten Regel der Technik können wir m. E. Stand April 2018 nicht sprechen. Böse Zungen nennen diese Norm auch gern Lobby-Norm der Lüftungsindustrie.

Damit kann man m. E. schließen, dass es eine Pflicht zu einer Lüftungsanlage nicht gibt. Gleichwohl gibt es Argumente für eine Lüftungsanlage. Diese liegen aber nicht in irgendwelchen Schimmelhorrorszenarien oder der angeblichen Energieeinsparung. Für eine Lüftungsanlage sprechen Komfortargumente:

  • eine Lüftungsanlage kann nutzungsangepasst so lüften, dass sowohl Luftfeuchtigkeit als auch CO2-Gehalt auf einem für den Menschen angenehmen Niveau gehalten werden. Dies hat insbesondere in Schlafzimmern große Vorteile, da man während des Schlafens selten aufsteht, um die verbrauchte, CO2-belastete Luft durch frische auszutauschen.
  • eine Lüftungsanlage kann im Sommer durch eine aktive Nachtauskühlung zu einem angenehmen Wohnklima beitragen, da so die Raumtemperaturen auf vergleichsweise niedrigem Niveau gehalten werden können.
  • eine Lüftungsanlage entbindet einen von der Disziplin, selbst immer an ausreichendes Lüften denken zu müssen.

 

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2 thoughts on “Neubau Lüftung”

  1. Besten Dank für den Beitrag. Ich habe aber mal eine Frage. Betrifft mich das auch als Privatperson, wenn ich zum Beispiel ein Fertighaus bauen will? Im Endeffekt kann es ja also jedem egal sein oder? Oder kann das Folgen haben?!

    1. Sehr geehrter Herr „Fertighaus Freund“ 🙂
      Alles, was man tut oder lässt, kann Folgen haben.
      Der Blogbeitrag hinterfragt nur, ob die Anwendung der DIN 1946-6 als allgemein anerkannte Regel der Technik gelten kann und beantwortet dies abschlägig. Ob Sie eine Lüftungsanlage haben wollen oder evtl. aus energetischen Gründen sogar benötigen, das müssen Sie anhand Ihrer konkreten Gegebenheiten und Wünsche entscheiden.
      Und „egal“ kann einem das Thema Lüften mit Sicherheit nicht sein, aber wie man es beantwortet, da gibt es Varianzen.
      Mit den besten Grüßen
      Reinhard Schneeweiß (- das ist mein echter Name)

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