Singles in zu großen Wohnungen – auch ein ökologisches Problem
Das Leben ändert sich und damit der Platzbedarf – Antworten der Architektur
Die Saarbrücker Zeitung (SZ) berichtet am 9.12.2015 auf Seite A1, das „Deutsche beim Klimaschutz nur Mittelmaß“ sind.
Der architektonisch relevante Teil der Nachricht:
Belastend für die Umwelt ist (…) der persönliche Lebensstil vieler Bürger. (…) die hohe Zahl von Single-Haushalten [verursacht] einen besonders großen Energieverbrauch. In rund 40 Prozent aller Häuser und Wohnungen lebt inzwischen ein Mensch alleine. Damit steige der Pro-Kopf-Aufwand für Strom und Heizung. (…)
Eine reine Feststellung ist allerdings noch keine Lösung. Es müssen die Ursachen dieser Entwicklung verstanden werden, damit Lösungsvorschläge möglich sind.
Die heutige Lebenssituation unterscheidet sich grundsätzlich von der bäuerlichen und vorindustriellen Zeit, in der es zu gering genutzte Wohnungen und Häuser gar nicht gab. Mit der Industrialisierung und der (Post-)Moderne hat sich die Großfamilie weitgehend aufgelöst, die persönliche Freiheit und der Schutz der Intimsphäre hat einen deutlich höheren Stellenwert. Die Arbeitsbedingungen haben sich u. a. derart verändert, dass eine passende Arbeitsstelle am ursprünglichen Wohnort eher selten ist, auch für Ausbildung, Lehre, Studium und Fortbildung ist oft der Wohnort zu wechseln. Familie besteht nicht mehr aus mehreren Generationen, die zusammen mit Onkel und Tanten an einem Ort, in einem Haus wohnen, sondern im Wesentlichen aus 1 bis 2 Erwachsenen mit 0 bis ein paar Kindern. Nachdem die Kinder in die Eigenverantwortung entlassen sind, reduziert sich diese Situation wieder auf die/den Erwachsenen.
Was bedeutet das für das Wohnen? Die Lebenssituationen sind heute so, dass sich der Platzbedarf an Wohnraum im Laufe des Lebens ständig ändert. Die Phase des größten Platzbedarfs besteht für Familien zum Zeitpunkt mit jugendlichen Kindern. Sobald die Kinder das Haus verlassen haben, reduziert sich dieser Platzbedarf wieder erheblich. Und darin liegt das von der SZ berichtete Problem. Gebaut werden Häuser nach dem größten Platzbedarf dieser relativ kurzen Zeit. Sowohl vorher als auch nachher sind die Häuser eigentlich zu groß. Auch bei Wohnungen ist es so, dass nach dem Auszug der Kinder der Aufwand für einen Umzug i. d. R. gescheut wird, obwohl man auch gut mit 1 bis 2 Zimmer weniger klar käme. Und außerdem glaubt man, dass man sich dies finanziell leisten kann. Ökologisch ist dies nicht. Auch die viel praktizierte Methode, nur wenige Zimmer aktiv zu beheizen, ist hier keine tatsächliche ökologische Verbesserung. Die nicht direkt beheizten Räume werden indirekt über die Innenwände mitgeheizt. Das merkt man spätestens daran, dass diese trotz ausgestellter Heizung Temperaturen um 16 bis 18°C aufweisen, obwohl es draußen 0°C hat oder sogar kälter ist. Gleichzeitig arbeitet die Heizung infolge dieser asymmetrischen Belastung des Systems ineffektiv. Auch hygienisch stellt das „Kaltlassen“ von Räumen oft ein Problem dar, wenn regelmäßig warme Wohnzimmerluft in diese kalten Nebenräume kommt und dort über kurz oder lang zu Schimmelbildung führt. Aber auch die wirtschaftliche Sichtweise zeigt, dass es sich bei den unbenutzten Räumen um totes Kapital handelt. Sinnvoll ist das nicht.
Was kann die Architektur hier verbessern? Ein Haus ist nun mal so groß wie es ist. Eine Wohnung ebenso. Stimmt das? Es kommt darauf an! Die Architektur und die Architekten haben schon seit Jahrzehnten Grundrisse entwickelt, die mit (beliebig) zuschalt- und abtrennbaren Räumen arbeiten. Das Prinzip ist hier dargestellt:
In der architektonischen Umsetzung kann einem feststehendem Kern eine mehr oder weniger beliebige Anzahl an Räumen zugeordnet werden. Dabei gibt es Lösungen, die sowohl eine interne als auch eine externe Erschließung dieser Räume zulassen. Damit kann Privatheit im Zusammenhang einer Familiennutzung gewährt werden. Sollte die Familie diese Räume nicht mehr brauchen, kann aber auch eine externe, unabhängige Benutzung als Arbeitszimmer, Bibliothek, Musizierzimmer, Gästezimmer, unabhängig von der eigenen Wohnung erfolgen. Die Anpassbarkeit der Wohnungen muss dabei ohne größere Umbauten möglich sein, da die Anpassbarkeit sonst nicht funktioniert.
Wenn man diese Konzepte durchdenkt, so kommt man schnell darauf, dass dies keine Lösung für eine Familie auf dem Land ist. Ein solches Konzept funktioniert nur, wenn mehrere Menschen/mehrere (zukünftige) Familien sich gemeinsam ein größeres Gebäude teilen.
Es ist klar, dass soetwas organisiert werden muss. Hierzu sind Abstimmungen nötig. Das Haus kann auch schlecht nur einem gehören. D. h., dass hierfür rechtliche Lösungen gefunden werden müssen, wie z. B. eine Genossenschaft. In der Schweiz gibt es hierzu schon gelungene, wenn auch relativ großformatige Beispiele. Die Organisation muss dann in geordneten Bahnen, transparent, gerecht und nachvollziehbar erfolgen. Auch dies ist ein Abstimmungsprozess. Alles viel Arbeit, aber lohnenswert. Lohnenswert, weil
- lebendig
- sozial
- und ökologisch
- geringere Investitionskosten
- langfristig nutzbar
- integrierendes Wohnen für Alte, Junge, Alleinerziehende etc…
- geringere Unterhaltungskosten
- …
Für solche Lösungen braucht man aber Platz, politische Unterstützung und viele Mitstreiter. In Saarbrücken gibt es z. B. ein Grundstück, allerdings wäre mit der Stadtplanung noch eine Alternative hinsichtlich der Bebauung zu klären. Dies funktioniert umso leichter, je konkreter die Alternative ist, sprich: je mehr Menschen eine Alternative wünschen, desto mehr Handlungsspielraum gibt es.
SCHNEEWEISS ARCHITEKTEN ist ihr Ansprechpartner für ökologisches, soziales und innovatives Wohnen